Der 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags sollte den einheitlichen EU-Bahnbinnenmarkt feiern – und nicht ein neues grenzüberschreitendes Bahnmonopol

Brüssel, 26. Januar 2023: Vor vier Tagen, am Sonntag, den 22. Januar, haben wir den 60. Jahrestag des Freundschaftsvertrags zwischen Deutschland und Frankreich gefeiert. Beide Länder sind ein fester Bestandteil der EU und des europäischen Binnenmarktes. Daher ist es etwas seltsam, dass die beiden Staatsbahnen diesen Jahrestag mit einem neuen gemeinsamen Bahnmonopol begehen. 

Die beiden jeweiligen Staatsbahnen DB und SNCF werden nämlich eine neue gemeinsamen Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Paris und Berlin einrichten. Dem Medienunternehmen Bloomberg zufolge geschieht dies “im Namen des grünen Übergangs”  .

Leider wird eine solche Absprache aber das Gegenteil bewirken, indem sie den Bahnmarkt klein hält und die Verbraucheroptionen einschränkt. Bloomberg berichtet weiter: Umweltbewusste Reisende sind zunehmend an Bahnoptionen interessiert“.

  • Genau  – aber solche Reisenden suchen nach mehr als nur einer einzigen Bahnoption(!)

Ironischerweise ist ausgerechnet die SNCF das beste Beispiel dafür, was dann passiert, wenn es stattdessen zwei konkurrierende Hochgeschwindigkeitsanbieter gibt: Nachdem die SNCF im Mai 2021 in den Hochgeschwindigkeitswettbewerb mit der spanischen Staatsbahn Renfe eingestiegen war, konnte sie bereits vier Monate nach dem Markteintritt einen Anstieg der Gesamtzahl der Fahrgäste um 17 % gegenüber dem letzten Jahr vor der COVID-Pandemie vorweisen.

Darüber hinaus: nachdem die Hochgeschwindigkeitszüge der SNCF und der italienischen Staatsbahn FS Trenitalia seit Dezember 2021 zwischen Mailand, Lyon und Paris miteinander konkurrieren, stieg die Gesamtzahl der Fahrgäste in nur neun Monaten um 58 % (siehe den Artikel von unten).

Das Fazit: die Gesamtzahl der Fahrgäste wächst dann immer am Schnellsten, wenn Hochgeschwindigkeitszüge der Staatsbahnen miteinander konkurrieren. Es ist nämlich die neue Vielfalt an Tarif- und Produktoptionen, die zusätzliche Fahrgäste auf die Schiene lockt – das ist es dann eben, was einen grünen Übergang wirklich ermöglicht.

Darum stellen wir uns die Frage: Warum können (oder wollen) das größte Bahnunternehmen Europas (die DB) und das Zweitgrößte (die SNCF) nicht miteinander konkurrieren? Gibt es eine Art ‚Kein-Wettbewerbspakt‘ zwischen den beiden Unternehmen? Dies ist besonders besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass es zwischen Deutschland und Frankreich noch keinen anderen Hochgeschwindigkeitsanbieter gibt.

Wenn dieses mutmaßliche Kartell erlaubt wird, dann werden in Zukunft auch andere Staatsbahnen darauf berufen, damit sie sich mit einander über die EU-Binnengrenzen hinweg absprechen dürfen, selbst wenn es für die Fahrgäste keinen alternativen Bahnanbieter gäbe.

Der EU-Markt für den grenzüberschreitenden Schienenpersonenfernverkehr wäre dann faktisch tot. Im Interesse des grünen Übergangs ist der Wettbewerb zwischen Staatsbahnen ganz eindeutig die bessere Antwort “

ALLRAIL Generalsekretär Nick Brooks

Annex
Der folgende Artikel erschien im September 2022 in der französischen Wirtschaftszeitung Challenges.

Übersetzt: “…..Seit dem Einstieg von FS Trenitalia auf der TGV-Strecke Paris-Lyon im Dezember letzten Jahres ist der durchschnittliche Fahrpreis um 7 % von 45 € auf 42 € gesunken, und die Zahl der verkauften Fahrkarten ist um 58 % gestiegen, alle Bahnbetreiber zusammengenommen.”

Mehr zum Erfolg von diesem neuen HGV-Wettbewerb zwischen Paris, Lyon und Mailand wurde erst gestern hier (auf Englisch) veröffentlicht.